Regelmäßig berichten wir an dieser Stelle über relevante und interessante Entscheidungen aus den Sphären des Bau- und Immobilienrechts. Daher freut es uns besonders, dass wir heute aus einem Verfahren berichten können, an dem wir als Prozessbevollmächtigte selbst maßgeblich mitgewirkt haben.
Gebührenrechtliche Fragen im Baurecht, eine jüngere Gesetzesänderung und verfassungsrechtliche Erwägungen. Der Beschluss des Hamburger Verwaltungsgerichts vom 12.06.2025 (Az. 9 E 4842/24) hat es in sich.
1. Der Sachverhalt
Unsere Mandantin plante die Errichtung eines großen Gebäudekomplexes in der Hafen City. Eine entsprechende Baugenehmigung der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) erging mit Bescheid vom 12.09.2023.
Am 14.09.2023 erließ die BSW einen Gebührenbescheid für den Baugenehmigungsbescheid, in welchem unsere Mandantin zur Zahlung einer Gebühr in Höhe von € 632.948,00 bis zum 26.10.2023 aufgefordert wurde.
Gegen den Baugenehmigungsbescheid haben wir namens unserer Mandantin einen - auf bestimmte Ziffern des Bescheides beschränkten - Widerspruch eingelegt.
Die BSW teilte uns im Fortgang informell mit, dass dem Widerspruch teilweise abgeholfen werden kann, beschieden wurde dieser jedoch bis zuletzt nicht.
Im Oktober 2024 forderte die FHH unsere Mandantin letztmalig auf, die – nach einer Teilzahlung – noch ausstehende Gebühr für den Baugenehmigungsbescheid in Höhe von € 348.042,05 EUR zu zahlen, um eine zwangsweise Einziehung zu vermeiden.
Um eine Vollstreckung in das Vermögen unserer Mandantin doch noch abzuwenden, haben wir umgehend einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt und auf die noch ausstehende Entscheidung über den Widerspruch und damit auf den Inhalt der Baugenehmigung verwiesen.
2. Zur rechtlichen Ausgangslage
Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 HmbVwVG darf ein Titel – hier der Gebührenbescheid – erst vollstreckt werden, wenn die Geldforderung fällig ist.
Der Ablauf der im Gebührenbescheid festgesetzten Zahlungsfrist am 26.10.2023 bewirkt nach § 17 Abs. 1 S. 1 Gebührengesetz (GebG) grundsätzlich die Fälligkeit der Forderung.
Als speziellere Regelung ging diesem Grundsatz jedoch § 17 Abs. 3 GebG vor. Nach dieser Vorschrift wird die Gebühr aus einem Gebührenbescheid, soweit dieser aufgrund eines Sachbescheides ergangen ist und gegen diesen Widerspruch erhoben wurde, erst dann fällig, wenn der Sachbescheid bestandskräftig geworden ist.
Gegen den Sachbescheid in Gestalt der Baugenehmigung wurde fristgerecht Widerspruch erhoben, welcher jedoch noch nicht beschieden wurde. Eine Entscheidung über den Widerspruch – insbesondere eine bestandskräftige – lag mithin nicht vor.
Und nun wird es interessant:
§ 17 Abs. 3 GebG wurde durch Gesetz zum 16.09.2023 ersatzlos aufgehoben.
Bei Fertigstellung der Baugenehmigung am 12.09.2023 war § 17 Abs. 3 GebG jedoch noch in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt war die Amtshandlung in Gestalt der Bescheidung des Bauantrags abgeschlossen, so dass die Gebührenpflicht nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 1. Alt GebG bereits am vorbezeichneten Datum entstanden ist.
Daher stellte sich die Frage ob die Aufhebung von § 17 Abs. 3 GebG auch in der Vergangenheit – also vor dem 16.09.2023 – entstandene Gebührenschulden erfasst, diese also eine Rückwirkung entfaltet.
Dem Gesetzgeber war bei der Gesetzesänderung daran gelegen, die privilegierende Fälligkeitsregelung des § 17 Abs. 3 GebG zu beseitigen, um die Fälligkeit der Gebühren von der Bestandskraft des Sachbescheides, welche mitunter erst nach Jahren eintritt, zu entkoppeln (Bü-Drs. 22/12429, S. 1).
Die Materialien zur Gesetzesänderung legen somit einen entsprechenden legislativen Willen zwar nahe, ausdrücklich geregelt war dies jedoch nicht.
Aus diesem Grund war die Frage der Rückwirkung im Wege der Auslegung zu ermitteln.
3. Die Entscheidung des Gerichts
Ob eine Gesetzesänderung Rückwirkung entfalten kann, ist durchaus von verfassungsrechtlicher Bedeutung. Grundsätzlich hat der Bürger nämlich ein gewichtiges Interesse daran, dass ein Sachverhalt nach dem Recht beurteilt wird, welches zu dieser Zeit in Kraft war.
Im Falle einer sogenannten unechten Rückwirkung, wenn die Norm also an Sachverhalte anknüpft, die teilweise in der Vergangenheit liegen, aber noch nicht abgeschlossen sind, ist eine Rückwirkung nach gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich zulässig. Da der Sachverhalt in diesen Fällen noch nicht abgeschlossen ist, besteht regelmäßig noch keine gefestigte und schützenswerte Vertrauensgrundlage.
Eine unechte Rückwirkung ist jedoch dann ausnahmsweise unzulässig, wenn eine Abwägung ergibt, dass das Vertrauen des Bürgers auf die bestehende Rechtslage den Vorrang verdient.
Unter Berücksichtigung dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze ist das Gericht unser Auffassung gefolgt und ist im Wege einer verfassungskonformen Auslegung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gesetzesänderung keine Rückwirkung zukommt.
Das Vertrauen eines Schuldner bzw. unserer Mandantin in die „alte“ Rechtslage bezüglich der Fälligkeit überwiegt.
Demnach durfte unsere Mandantin darauf vertrauen, dass es trotz der Gesetzesänderung für bereits entstandene Gebühren bei der Anwendung von § 17 Abs. 3 GebG bleibt, wonach die festgesetzte Gebühr erst mit Bestandskraft der Baugenehmigung fällig wird.
Denn die Frage wann eine Gebührenschuld zu begleichen ist, ist für den Schuldner vergleichbar relevant wie die Frage nach der Rechtmäßigkeit und der Höhe der Gebührenschuld. Vor Eintritt der Fälligkeit schuldet der Schuldner nichts und kann infolgedessen weder in Verzug gesetzt noch säumig werden.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass Gebühren, soweit sie vor dem 16.09.2023 entstanden sind und der zugrundeliegende Sachbescheid noch nicht bestandskräftig ist, nicht fällig und somit auch nicht vollstreckbar sind. Mit Blick auf die Höhe der Gebühren im Baurecht sowie den Zeitablauf bis zur Bestandskraft, ist dies von erheblicher Bedeutung.